[Hintergrund: Für „Kunst, Kommerz & Kinderkriegen“ habe ich viele Interviews mit Kreativen geführt, die einige Arbeitssysteme erlebt haben – und in ihrem aktuellen sehr glücklich wirken. Für das Buch waren sie zu lang, daher sammel‘ ich alle ungekürzt hier.]

Heute: Fabian Frese! Der Texter und Geschäftsführer bei Kolle Rebbe hat gefühlt unzählige Kreativpreise gewonnen. Auch aus seiner Zeit als Geschäftsführer von Jung von Matt/Alster. Wer „Kunst, Kommerz & Kinderkriegen“ gelesen hat, wird enorm viel aus diesem Interview wieder entdecken. Aus dem Thema „Krankes Hierarchiesystem“ ist sogar ein eigenes Kapitel geworden. Auch hier nochmal vielen Dank für deine Zeit, Fabian – das hat sehr geholfen!

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Warum machst du, was du gerade machst?

Die klassische Antwort ist: Weil ich nichts anderes kann. Das seh’ ich bei mir aber nicht so. Ich kann nämlich superviel. (lacht) Im Ernst, ich mach’ das tatsächlich, weil mir das sehr viel Spaß macht. Ich finde, dass ist einer der spannendsten Jobs, die du haben kannst. Du machst ständig was Neues.
Damals hat Wolfgang Kröper einmal zu mir gesagt, als ich Junior-Texter war: Das Tolle an dem Job ist, dass du jeden Tag schlauer wirst. Und das ist auch tatsächlich so. Es gibt keinen anderen Job, in dem du dich mit so vielen verschiedenen Themen beschäftigst. Sei es Hybridmotoren oder wie funktioniert eigentlich nikotinabweisende Farbe oder warum sind Omega3-Fettsäuren eigentlich gut. Man bekommt ganz nebenbei ein ungeheuer breites Allgemeinwissen. Bei vielen Dingen, sagt man sich: Ok, das muss ich jetzt nicht unbedingt wissen, aber es war trotzdem gut, das mal gemacht zu haben. Ich mach’ das aus Spaß und Neugier, könnte man zusammenfassen.

Du warst fast immer festangestellt, aber zwischendurch auch mal frei.

Genau. Ich sag mal, warum ich Sachen irgendwann nicht mehr gemacht hab‘: Bei Jung von Matt bin ich raus, weil ich mich irgendwann gelangweilt hab. Also einerseits Langeweile und andererseits das Gefühl, Sachen zu verpassen. Das hängt aber eng miteinander zusammen.

Die Langeweile kam bei mir, weil ich das Gefühl hatte, dass ich seit Jahren immer dasselbe mache. Also auf anderen Kunden, klar. Aber eine Kampagne nach der anderen und die benutzen dann doch immer die gleichen Kanäle. Wenn man 100 Filme gedreht hat, muss man nicht auch noch den 101. drehen. Das Feuer war weg. Dieses „geil, ich mach’ einen Filmdreh“. Ich muss auch nicht die 100. Plakatkampagne machen. Man freut sich immer noch, wenn man eine gute Idee dafür hatte, aber wenn es Routine wird, nimmt der Spaß ab.

Und dazu kam das Gefühl „ich verpasse ganz viel, weil ich keine Zeit hab, andere Dinge zu machen“. Also vor allem das Digitale. Ich hatte auch das Gefühl, dass Kunden schlauer wurden als ich – das macht einen dann wirklich nervös. Und auch Teams hatten mehr Ahnung als ich. Ich hatte Junioren im Büro stehen, die haben mir Digital-Ideen erzählt, zu denen konnte ich nur aus reinem Bauchgefühl sagen, ich glaube das ist gut, aber ich weiß es nicht genau. Das waren dann komplexere Sachen, da hab’ ich die Technologie dahinter nicht verstanden oder ich wusste nicht genau, ob ich damit eigentlich die Leute erreiche.

Irgendwann ging das los, dass man gezwungen war, sein gewohntes Terrain zu verlassen. Das wurde dann immer mehr Blindflug für mich. Ich hatte ein solides digitales Basiswissen, wie die meisten um mich rum. Und das hätte wohl auch gereicht, um das noch 2-3 Jahre so weiter zu machen. Aber das war total unbefriedigend.

Erstaunlich, weil sich das Problem mit dem Neuen eigentlich gar nicht mit dem Problem der Routine deckt.

Das bedingt sich aber. Dadurch, dass ich von vielen Dingen zu wenig Ahnung hatte, hatte ich mich immer an dem festgeklammert, was ich kenne. Und hab’ daher anderen Sachen weniger Chancen gegeben. Ideen, zu denen ich dann sagte „Ok, das klingt zwar interessant, aber das ist nicht das, was wir jetzt brauchen.“ Und das waren teilweise sicher auch falsche Entscheidungen.

Ich glaube, Kunden denken auch oft so. Sobald die Neuland betreten, fühlen die sich unsicher und denken, dass kann ich nicht einschätzen. Ich weiß nicht, ob das funktioniert – wir machen das mit den Fähnchen.
Und das war auch mein Gefühl. Das war ein Prozess, der ging über ein paar Monate und ich wusste: Irgendwas muss ich da tun. Sonst sitz’ ich da mit 45 und verstehe nicht mehr, wo die Reise hingeht. Und das war für mich der Schritt zu sagen: Ich muss hier raus! Ich will mich um Themen kümmern, von denen ich zu wenig verstehe.

Und das war für mich ein super Schritt. Klar, hatte ich Angst. Ich hab‘ da einen der besten Jobs aufgegeben, die man als Kreativer in Deutschland haben kann: Geschäftsführer bei Jung von Matt an der Alster – hätte mir das vor 10 Jahren einer erzählt, hätte ich gedacht, der will mich verarschen. Um dann zu sagen, dass schmeiß’ ich alles hin, darüber hab’ ich lange nachgedacht.

Du hast ja auch Kinder.

Ja, wobei man sagen muss: so mutig war das nun auch wieder nicht, weil ich natürlich wusste, dass ich immer einen guten Job finden würde. Die Sicherheit hatte ich schon. Jean-Remy (von Matt) hat auch zu mir gesagt „du kannst wiederkommen, wann du willst.“ Was einem ja auch Sicherheit gibt.

Jedenfalls hab’ ich dann Stefan Walz angerufen. Der hat damals an der Edding Wall of Fame mitgearbeitet und der hat jetzt eine Digital-Butze. Den hab ich gefragt, ob ich bei ihm hospitieren darf. Ich hab’ mir dann mit ihm ein Büro geteilt und alles in mich aufgesaugt. So was wie Usability war ja vorher nie ein Thema, wenn man mal ehrlich ist. Und zu einigen Dingen musste ich mich auch zwingen. Wie man Webshops konzipiert zum Beispiel. Aber da das alles neu war, kam auch der Spaß zurück. Und das gute Gefühl wieder was zu lernen. Ich finde, dass ist ein ganz wichtiger Antrieb, dass man immer neuen Input bekommt. Dieses Gefühl: geil, heute hab’ ich echt was gelernt. Was man teilweise monatelang nicht hatte, wenn man in so einer Routine drin ist.

Dann war ich bei Elbdudler, der Social-Media-Agentur. Da hab‘ ich ein Praktikum gemacht. Die dachten erst, ich will die verarschen. Da war ich ungefähr 3-4 Wochen. Ich weiß auch noch, wie ich an meinem ersten Tag da saß … und die kamen alle erst um 10. Ich kam ja von einer Chefposition und hatte diesen Drang, die alle zusammenzufalten. Aber dann fiel mir ein, ich bin ja nur Praktikant hier (lacht).

Zwischendurch rief mich auch mal der Sohn von meinem alten Klassenlehrer an, den kannte ich gar nicht. Aber der entwickelte grade eine Art Spotify für klassische Musik. Da hab ich parallel auch ganz viel dran mitgearbeitet. Das war auch unglaublich spannend und lehrreich. Wie man das alles konzipiert hatte und welche Tüftler da auch drin hängen. Manchmal würde ich allen nur sagen: Geht mal raus, man! Mal seinen Mikrokosmos verlassen und einfach mal andere Leute kennen lernen. Unglaublich spannend.

Auch zwischendurch kam noch eine Anfrage von RGA/London. Das kam über irgendeine Empfehlung. Ich hab‘ bis heute keine Ahnung, warum. Der Human Ressources Chef von denen hat mich angerufen und gefragt: „Are you funny?“. Ich dachte mir nur, was willst du denn jetzt? Naja, ich hab’ ihm dann gesagt, dass ich superlustig bin. Und dann hatte ich den Job. (lacht) Dann hab ich von Deutschland aus einen Job für die in London gemacht. War cool. So was hätte ich auch gern mehr gemacht. Im Ausland Läden anschauen, wie die alle so ticken. Aber das ging halt auch mit Kind nicht.

Das ist auch wahnsinnig spannend. Ich hatte ja schon einige Interviews mit Kreativen im Ausland. Man glaubt gar nicht, wie unterschiedlich die arbeiten. Allein die Tatsache, dass um 18 Uhr die ganze Agentur leer ist. Und die Definition, wann man als motivierter, guter Kreativer gilt.
In Deutschland giltst du als toller Kreativer, wenn du dich Tag und Nacht kaputt arbeitest. In England bist du ein toller Kreativer, wenn du mit minimalster Arbeitszeit in Cannes Gold gewinnst. Da sind Teams, die arbeiten drei Stunden am Tag – und gehen dann. Und: es reicht. Das ist echte Coolness, wenn du mich fragst.

Ja, bei RGA war das auch so. Wir haben ja hier so eine Art Agenturpartnerschaft mit Mother in London. Die haben wir mal gebraucht und dachte: Da ruf’ ich mal an. Das war wirklich sehr spannend, weil ich immer dachte „German Creatives“ ist wie der kürzeste Witz der Welt für die. Aber das war unglaublich nett und offen. Was mich gewundert hat, war, wie klassisch die arbeiten. Bei denen geht es vor allem um den einen geilen TV-Spot. Weil die meinen, damit erreichen die alle am besten und erzeugen Emotionen. Und wir waren für die totale Digital-Nerds! Weil wir mit Content-Kampagnen gearbeitet haben und der Gründer von Mother meinte dann irgendwann „wir müssen uns mal dringend zusammen setzen und ihr müsst uns erzählen, wie ihr das mit dem Digital-Know-How alles macht“. Und ich dachte mir nur: unser Digital-Know-How geht da grade einen Meter vor dir. Also der eine Experte bei dem Thema, den wir dabei hatten. (lacht).

Die ganzen anderthalb Jahre waren wirklich nur Kraft tanken und inspirieren. Du merkst ja als Texter, dass du kaum Zeit hast, dich inspirieren zu lassen. Und als Geschäftsführer dann umso weniger. Man kann vielleicht mal eine Stunde rumsurfen, aber dir fehlt halt der Raum. Und das ist dann eben eine sehr endliche Geschichte

War das dann Anlauf nehmen für den nächsten Geschäftsführer-Posten? Oder hast du mal überlegt, eine eigene Agentur aufzumachen.

Das hatte ich mal überlegt, ja. Mit zwei anderen dabei. Aber ich finde, das klingt im ersten Moment immer so geil: eigene Agentur. Aber je konkreter das wurde, desto mehr Schiss hab’ ich gekriegt. Und alles genau hinterfragt.
Ich finde, vorher muss man erst mal seine Persönlichkeit checken. Und ich habe nicht den Drang meinen Namen an irgendeiner Tür stehen zu haben. Das ist ja für viele der Antrieb. Und das geht mir schon mal komplett ab. Und dann bin ich auch noch ein Sicherheitstyp. Also ich hatte auch wirtschaftlich Schiss. Und dazu kam noch: wenn man sich selbstständig macht, sollte man wissen, was die eigene Idee ist. Und die hatte ich nicht. Ich hätte ein neues LLR oder Neues aus Hamburg oder was auch immer aufmachen können, aber ich hatte das Gefühl, da wartet kein Mensch drauf. Warum sollten die zu mir gehen? Und bin ich dann nicht wieder in der Routinefalle?

Ich hab dann für mich gemerkt, ich fühle mich wohler in einem bestehenden System, was ich noch entsprechend mitgestalten kann. Also eine eigene Firma wäre für mich ein Stück Selbstbetrug gewesen, wenn ich’s gemacht hätte.

Wie hast du eigentlich angefangen?

Ich hab ursprünglich Jura studiert, weil ich Journalist werden wollte. Ich hatte damals einen Freund von meinem Vater gefragt, der beim RIAS war. Das heißt heute glaub ich Deutschlandfunk. Der meinte, ich sollte auf keinen Fall Germanistik oder Publizistik studieren, weil damit könnte man die Straße pflastern. Ich sollte lieber einen von diesen großen klassischen Studiengängen machen. Mein Vater war BWL Professor, daher fiel das für mich ein bisschen weg, weil ich schon was anderes machen wollte. Und Mathe fand ich auch nicht so cool, also Jura. Das hab ich dann auch recht schnell durchstudiert. Viereinhalb Jahre, glaub ich. Das ist mir auch recht leicht gefallen, weil ich wusste, ich will damit nie arbeiten. Um mich rum haben alle um ihre Noten geschachert, ich wollte einfach nur bestehen und durch.

Danach bin ich dann als freier Redakteur zu RTL West in Köln gegangen. Und das hat mir leider diesen Journalismus-Traum für immer zerstört. Das war rückblickend auch ein Fehler, in so eine Bewegtbild-Boulevard-Bude zu gehen. Ich hätte lieber zu einer guten Zeitung gehen sollen. ZEIT oder so. Ich hab da auch viel gelernt und es war auch ganz interessant – aber das war mir zu hohl alles. Da machst du Sachen, die kannst du keinem erzählen. Da ertrinken fünf Kinder im Pool im Urlaub und dann rufst du da an: Herzliches Beileid, können wir mal vorbei kommen? Und dann drehen die alle durch, wenn die RTL hören. Die sind noch in tiefster Trauer und hören dann plötzlich auf und meinen „Ach, Fernsehen, ja kommen Sie vorbei! Ist egal wann!“. Und dann geht man da hin und inszeniert das noch. Man fragt die Frau, können Sie mal eine Kerze ins Fenster stellen. Man denkt in dem Moment auch gar nicht darüber nach, weil du nur denkst: geile Bilder – geile Story. Wie im Blutrausch.
Irgendwann abends saß ich da und hab mich einfach nur geschämt: was hab’ ich eine Scheiße gemacht, die letzten Wochen. Dann hab’ ich aufgehört.

Und dann?

Dann meinte eine Freundin von mir, die Producerin in Düsseldorf bei BBDO war: Du hast doch immer so lustige Ideen, mach doch mal Werbung. Das hatte mich vorher nie interessiert. Ich hatte mir die Cannes Rolle ab und zu mal angesehen, aber sonst nichts. Und dann hatte ich ein Gespräch mit Gerrit Kleinfeld da. Das war echt ein schräger Vogel. Der hat mich dann gefragt: was hast du denn so gemacht? Und ich: Ich hab noch nichts gemacht. So.

Gutes Gespräch.

Naja, wir haben uns dann unterhalten und er meinte dann: Tja, ich hab’ keine Ahnung was du kannst, aber lass’ uns das mal probieren. Und dann hab ich als Praktikant schon Gold bei der OneShow für nen Radiospot gewonnen. Und dann nahm das alles so seinen Lauf.

Zwischendurch wurde ich dann auch mal gefeuert. Das war halt Network. Jedes Jahr kamen da 10 Controller rein und haben alles auf den Kopf gestellt. Jeder wusste: wenn die wieder gehen, gehen auch noch 30 andere durch dieselbe Tür. Dann hatte ich auch irgendwann die Kündigung auf dem Tisch. Das geht da nach Gesetz. Also wer ist jung, unverheiratet, hat keine Kinder und ist am kürzesten da. So was. Und das war dann ich. Ich war der Typ, der am meisten gewonnen hat und musste dann gehen. Das fand ich damals auch ganz schön seltsam.

Wie hast du eigentlich so schnell so viel gewonnen?

Ich hab‘ so lustige Funkspots gemacht.

Direkt auf Award angelegt oder war das Tagesgeschäft?

Nein, direkt Award. Das Awards in der Branche wichtig sind, hatte ich eigentlich direkt verstanden. Und dann voll drauf angelegt.

Wie ging’s nach der Kündigung weiter?

Ich hab‘ eine Postkarte von Jean-Remy bekommen. So eine Diddl-Maus-Postkarte. Das war die wahrscheinlich hässlichste Postkarte, die ich je gesehen hab. Und da stand mit seiner Krakelschrift drauf: er hätte das und das von mir gesehen, herzlichen Glückwunsch, komm mal vorbei. Und dann war klar: Wenn der Schweizer ruft, musst du da mal hin. So bin ich dann bei Jung von Matt gelandet.

Das heißt, du hattest eigentlich nie eine Mappe oder?

Zum Einstieg nicht, nein. Gar nichts. Ich hatte halt Glück mit dem Typen, an den ich zuerst geraten bin. Der Gerrit. Der war halt völlig unbürokratisch und hatte gute Menschenkenntnis.

Als ich dann zu Jung von Matt gegangen bin, hatte ich eine Mappe dabei. Das waren vor allem Print-Ausdrucke damals. Und meine Filme und Funkspots hatte ich auf CD gebrannt. Die konnte man aber gar nicht abspielen, weil in dem Raum gar kein CD-Player war. Da saß ich da mit Götz Ulmer und Oliver Voss. Das waren halt die Medien damals. 4-5 TV-Spots, ein paar lustige Funkspots und Print. 13 Jahre ist das her. Da war die Welt noch in Ordnung, Andre! Nicht hier alles integriert und so! (lacht)

Ich bin ja jedes Mal aufs Neue erstaunt, wie unterschiedlich das Thema Digital in klassischen Agenturen angegangen wird – im Vergleich zu reinen Digitalagenturen.

Ja, absolut. Das war auch bei RGA so. Da arbeitet gefühlt auch die Hälfte der Leute frei. Das ist auch deren digitale Heritage. Sehr viel auf Projektbasis. Und vor allem sind die es eben gewohnt: für ein bestimmtes Projekt brauchst du bestimmte Experten. Das macht einfach keinen Sinn, die fest einzustellen, weil die dann ein halbes Jahr nichts zu tun hätten. Die holen die für 6-7 Monate alle zusammen und danach gehen die wieder.

Ich hab ja mein Büro bei demodern, da ist das auch so. Die trennen auch nicht zwischen Kreation, Planning oder Beratung. Die stellen ein großes Team zusammen und setzen sich für ein neues Projekt alle zusammen. Jeder ist Experte auf seinem Gebiet und jeder hat Respekt vor dem jeweils anderen. Wenn da ein Designer dem Projektmanager sagen würde: nee, geh du mal raus, du bist ja Beratung. Das wäre unvorstellbar. Ich glaube, wenn ich das vorher in Festanstellung einmal so erlebt hätte, hätte ich gar nicht diesen Drang nach Freelance gehabt. 

Die Aufteilung zwischen Ausdenken und Ausarbeiten ist auch umgekehrt. Angenommen man hat 30 Tage für ein Projekt, dann sucht man in einer klassischen Agentur 27 Tage die Idee und baut die in 3 Tagen fix zu einem Layout zusammen. Eine Digitalagentur sucht vielleicht nur 2-3 Tage die Idee und guckt 27 Tage danach, dass es läuft. Finde ich viel befriedigender. Und vor allem: es läuft am Ende eben.

Ich finde auch, dass die Strukturen oft unglaublich verkrustet sind. Das immer noch ein Texter mit einem Arter zusammenarbeitet und sowas.

Die Idee ist ja gut. Man muss halt nur ungefähr sechs Leute dazu setzen.

Ja. Da sagste was. Aber du musst halt auch die entsprechenden Jobs haben. Ich bin ja froh, dass es hier nicht so ist, aber das gibt’s ja noch ganz oft, dass die Klassik was macht und dann sagt: jetzt ruf mal die Onliner an, wir brauchen hier noch ne Website dafür oder so.

Das wär übrigens fast ein eigenes Buch wert: wie krank dieses deutsche Hierarchiesystem ist! Du bist Junior-Texter und weißt, du willst irgendwann Texter werden und dann weißt du, du musst irgendwann CD werden und wenn’s gut läuft wirst du irgendwann Geschäftsführer. Das ist so kaputt.
Keiner von uns ist ja in die Werbung gegangen, weil wir mal Lust hatten, Leuten zu kündigen.
Das finde ich bei den Engländern zum Beispiel viel cooler. Bei BBH in London hast du einen 50jährigen Copywriter sitzen, der 6.000 Pfund mehr verdient als der CD, einfach weil das ein anderer Job ist.

Wir haben hier ja zum Beispiel Lorenz Ritter. Der war hier mal Bodenleiter. Begnadeter Kreativer. Das war dieser klassische Reflex: du bist so lange hier und du bist so gut, du bist jetzt Bodenleiter. Und alle denken, man tut ihm was Gutes. Und weil der ein netter Typ ist, hat der das auch ein halbes Jahr gemacht. Aber dann meinte er: „Ihr könnt mich jagen damit. Ich fand CD schon schlimm und Bodenleiter finde ich noch schlimmer. Kann ich nicht einfach normaler Kreativer sein, der geiles Zeug macht?“ Dann haben sich alle erstaunt angeguckt und gemeint, ja klar. Das ist halt so ungewohnt, weil alle so scharf auf Titel sind. Und dann steht da einer, der sagt: scheiß auf euren Titel, ich will hier Spaß haben. Und seitdem ist der hier total glücklich, weil der einfach jeden Tag cooles kreatives Zeug raushauen kann. Und eben nicht über Telefonspinnen hängt und mit Kunden über Kleinkram reden muss oder sich mit Kapazitätenplanung rumplagt.

Meine Frau wurde ja auch CD, ohne das sie das drauf angelegt hätte. Die wollte immer nur texten. Musste sich aber als Freelancer selbstständig machen, weil das damals jeder als Scheitern in der CD Position gesehen hätte.

Und wenn sie wieder fest in eine Agentur wollte, hätten die allermeisten vermutlich auch gesagt: ja, Moment, Texter bekommen hier aber um die 4.000€ und nicht 6.500€ oder so, die du vielleicht vorher bekommen hast. In Deutschland gibt’s diese Gehaltsschubladen.

Aber als Freelancer stimmt die Rechnung dann wenigstens. Freie Texter, die einen Monat in einer Agentur sitzen und z.B. 600€ Tagessatz nehmen, verdienen praktisch 12.000€ im Monat. Und das sind die meisten auch durchaus wert. Trotzdem würde das fast keine Agentur als festes Gehalt zahlen. Man würde sich ja nicht mal trauen, auch nur ansatzweise soviel zu fordern.

Mittlerweile sind aber auch die Kreativen so gebrainwashed. Wie oft sitzen bei mir Kreative, die sagen, ich will mehr Verantwortung. Und dann frag ich mich: Willst du mehr Verantwortung, weil man das so macht oder weil du das wirklich willst. Willst du vielleicht nicht einfach nur gutes Zeug machen?

Das ist wirklich so. Ich dachte auch lange Jahre, dass muss ich jetzt halt so machen und da vorne hängt die Karotte. Verrückt eigentlich. Wie auch das ganze Denken, dass nur Festanstellung Sicherheit bietet. In Deutschland ist Selbstständigkeit immer gefühlt nah der Pleite und extrem riskant. Das ist aber schon ganz lange nicht mehr so.

Wir machen ja hier auch viel mit Start-ups. Drüben im Wasserschlösschen haben wir einen Inkubator. Start-ups, die wir interessant finden, können da für sechs Monate mietfrei rein. Bist die sozusagen flügge werden. Und das ist für uns auch super, denn wir können immer rüber gehen und gucken, wie die arbeiten.

Ich hab’ da neulich einen Kunden mit rüber genommen. Da sitzen drei Jungs um die 23 und machen ihr Ding. Und der Kunde fragt: „Das ist ja ganz cool, aber ihr habt ja überhaupt keine Sicherheit, dass das alles klappt.“ Und die antworten: „Stimmt, haben wir auch nicht.“ Und er: „Aber was ist denn euer Plan B oder was macht ihr, wenn’s scheitert? Wollt‘ ihr dann fest arbeiten?“ Und die haben ihn irritiert angeschaut und gefragt: „Nee, wieso?!“
Da sind wirklich zwei Welten aufeinander geprallt. Diese ganze Generation Risiko ist einfach viel freier in der Birne.

Das ist auch das, was ich bei den Studenten immer merke: eine Gruppe sagt immer Agentur als die sicherer Nummer, aber die andere, tendenziell größer werdende Gruppe, sagt: „irgendwas anderes“. Da dachte ich mir auch lange: ja, aber was macht ihr denn dann? Das war fast so ein Fürsorge-Reflex. Aber den wollten die gar nicht.

Dabei sind das die einzigen, die wirklich verstanden haben, wie viele Möglichkeiten hier überall rumfliegen. 

Und klar, geht das dann auch oft schief. Die merken dann meistens sehr schnell, wie ärgerlich das ist, wenn die Kunden eben nicht anrufen. Aber selbst, wenn die nachher in eine Agentur gehen – die gehen da mit einer völlig anderen Geisteshaltung rein, als zum Beispiel ich damals, der noch nichts anderes gemacht hatte. Wenn ich daran denke, wie seltsam besessen ich in den ersten 2 Jahren von seltsamen Dingen war. Da war alles unglaublich wichtig.

Ich hatte das aber auch. Ich hatte damals mal eine Freundin gefragt, ob bei Jung von Matt eigentlich auch immer alle so rumnölen. Sie meinte dann nur: Nein, da hast du gar keine Zeit, dich über irgendwas aufzuregen. Das stimmt auch. Das war alles wie im Rausch. Ich hab‘ in meiner Auszeit auch zwei Monate gebraucht, bis ich erst mal runtergefahren bin. In der ersten Woche dachte ich mir, ach komm, geh ich doch einfach mal in der Schanze einen Kaffee trinken. Das hab ich gar nicht hingekriegt. Ich hab die ganze Zeit auf mein Handy gestarrt und mich gewundert, warum mir keiner schreibt.
Ich hab erst nach Monaten realisiert, was ich da eigentlich gemacht hab. Das war ja teilweise kompletter Wahnsinn. Deswegen ist ja auch mit 50 kaum noch jemand hier übrigens.

Aber die sind ja nicht gestorben, die machen nur irgendwas anderes.

So ist es. Schreiben Kinderbücher. (lacht)
Ich mach‘ an der Miami Ad School einen Vortrag der heißt „From Creative to Creative Director“. Da erkläre ich auch ganz klar: das ist ein anderer Job, den ihr dann habt. Und da ist mein letztes Chart immer: Ihr werdet so viele Momente haben, in denen ihr glaubt, verdammt, alles bricht zusammen. Die werden mich umbringen für das, was ich hier mache. Aber man darf nie vergessen: das ist alles nur Werbung.

Das war großartig. Danke für deine Zeit!