Das hier könnte ein lustiges Teamfoto sein

Diesen Fachbeitrag hab ich zusammen mit Henning (Westerwelle) von Curious Company veröffentlicht. Wer Curious Company noch nicht kennt, das ist das Team, was u.a. die Globetrotter VR Experience entwickelt und produziert hat. (Ich bin da etwas befangen, aber ich komm ja grade aus der Jury mit den aktuellen VR Cases und ich würde behaupten, Globetrotter ist sogar heute noch einer der stärksten Cases in dem Bereich.)

Neben meinen Freelance-Jobs mache ich ja immer Nebenprojekte (Buch, Startup, Podcast) und die waren in den letzten Jahren etwas wild (Thriller geschrieben, nachhaltige Grablichter versucht zu produzieren – und am Ende um ein Haar ein ähnliches Erlebnis wie Fynn Kliemann zu haben, … ist ne längere Geschichte ;).

Seit ein paar Monaten mache ich mit Henning und Julia wieder das, was ich am besten kann: immersive/interaktive Storys entwickeln. Meist für Marken, aber auch Ausstellungen, Installationen, Apps, AR Games und VR natürlich. Fühlt sich ein bisschen so an, als wäre man von einer Weltreise zurück.

Statt lustigem Teamfoto haben wir einfach mal einen teutonischen Fachbeitrag gemacht. Auf H+, den ich aber jetzt nach ein paar Wochen einfach mal dreist hier reinstelle in der Hoffnung, dass niemand schimpft. Natürlich geht’s über AI, aber wir wurden gefragt, wie wir ganz pragmatisch AI im Alltag nutzen und was sie konkret bringt. Ich finde, wir sollten alle mehr darüber reden, denn jede:r setzt Technologien anders ein (oder auch gar nicht) und wir können alle davon lernen. Bitte sehr:

(von André Hennen und Henning Westerwelle, Curious Company Donnerstag, 15. Juni 2023)

Über 1.000 AI Tools erscheinen jede Woche. ChatGPT und Midjourney veröffentlichen fast wöchentlich beeindruckende Updates. Microsoft und Adobe ziehen mit ihren Integrationen nach. Haben wir schon alles verpasst? Was ist Hype und was echte Produktivität? 

Zur Beruhigung vorab: Nein, man hat noch nicht alles verpasst und man ist auch kein:e Hochstapler:in, wenn man über AI spricht. Jeder „Monat mit AI“ ist derart neu, dass es fast egal ist, was man letztes Jahr noch wusste. Bei neuen Technologien verhalten sich alle Menschen schockierend gleich. Das hat Gartner im „Hype Cycle“ perfekt festgehalten: Wahrnehmung, überzogene Erwartungen, enttäuschte Erwartungen, Erkenntnis, Produktivität. NFTs und das Metaverse grüßen aus dem „Tal der Enttäuschung.“

Die AI hat diesen Hype Cycle schon mehrfach hinter sich: Den Trigger gab es bereits in den 50ern mit Turing, in den 70er mit Moore und in den 90ern mit Deep Blue, als die AI einen Schachweltmeister schlug. Heute ist AI auf dem „Level der Produktivität“. Der beste Indikator ist vermutlich, wenn Microsoft eine Technologie in alle Office-Apps integriert.

Orientierung: There is an AI for that

AI Tools werden jeden einzelnen Job verändern. Ja, sogar Ihren Friseur (z. B. mit automatisierter Terminvergabe und vielleicht sogar mit Smalltalk per Voice AI). In der Kreation bricht sie im Turbo das weiße Blatt. Sie hilft uns, einen schnellen Einstieg zu finden, indem sie uns in Sekunden statt Stunden oder Tagen erste wertvolle Impulse, Informationen und Zwischenergebnisse liefert.

In der Frühphase des App-Stores warb Apple mit dem Claim „There is an app for that“, um ein Umdenken einzuführen. Das wiederholt sich jetzt mit AI Tools. Im Moment helfen Übersichtsseiten wie FutureTools oder AI Tools Directory. Newsletter wie „Superhuman“ sichten täglich neue Tools.

Bewertung: Wir sind overhyped und underinformed

Hypes gab es schon immer, aber in Zeiten von Social Media und multiplen Krisen (über)fordern sie auch die Härtesten. Bei näherer Betrachtung von Leuchtturm-Cases etwa stellen wir oft fest, dass viele Technologien außerhalb von Powerpoint einfach nicht funktionieren. Oder sie verbrennen weit mehr Geld (z. B. mit Pixelstreaming – für Premiumgrafik im Browser), als sie generieren. Es sind Prototypen einer Zukunftsvision. Das ist völlig in Ordnung, würden wir damit offen umgehen.

AI Tools machen mit Demos auf LinkedIn oder TikTok hervorragendes Eigenmarketing. Alles wird wie von Zauberhand perfekt – aber sobald man sie euphorisch testet, ist man enttäuscht. Das liegt entweder am schlechten Tool oder am lausigen User, denn wenig überraschend kommen auch die besten KI-Designs von den besten Designer:innen.

Welche Tools einem persönlich helfen, muss man ausprobieren. Es hilft dabei, Testzeiten einzuplanen, um Routinen zu durchbrechen. Nach einer Woche hat man ein Tool entweder in den Arbeitsalltag eingebaut oder weggeworfen. Die meisten sind aktuell noch gratis. Tools, die nachweislich einen Mehrwert bieten (ChatGPT und Midjourney vorneweg), kosten bereits 1020 Euro im Monat.

Nutzen (für die Kreation): Routinen für den Arbeits-AI-Tag

Zugegeben: Die letzten Pitches und Projekte haben wir alle mit Midjourney und ChatGPT gewonnen. Ein Beispiel: Wir konnten in einem frühen Konzept-Stadium präzise und originäre Moods erstellen. Der Nachteil an „klassischen“ Moods ist, dass sie nur vorhandene Dinge zeigen und man den letzten Schritt selbst „fertig denken“ muss – die KI denkt alles direkt fertig. Daraus wurden Styleframes – die AI hat beeindruckende Grundlagen generiert, auf deren Basis die Designer:innen ein Paint-Over gemacht und die letzten 20 Prozent per Hand addiert haben.

Kurz: Wir können schneller loslegen, iterieren, recherchieren, reverse engineeren, präzisieren, finetunen und testen. Wenn wir uns mit einer Idee am Anfang verlaufen, merken wir das früher. Wir haben nach Stunden oder sogar Minuten erste Iterationen von etwas Greif- und Vorzeigbaren. Das ersetzt Fleißarbeit durch Denk- und Kreativarbeit.

Nutzen (für Unternehmen): Von der „AI Identity“ bis zum unendlichen Fotoshooting

Um die häufigste Frage vorwegzunehmen: Ja, man darf Midjourney Bilder kommerziell nutzen (wer den Payed Plan besitzt). Gleichzeitig kann man diese Bilder aber auch nicht schützen, was für die meisten Marken wenig verlockend ist. Aber früh im Prozess, beispielsweise für Tests, lohnt es sich.

Wir können auch lokale AI Instanzen mit Produktbildern anlernen, um damit virtuelle Fotoshootings zu machen. Eine Familie neben einem Auto auf einem Jupitermond? Das hätte früher wochenlange Vorbereitung gebraucht. Jetzt braucht es nur noch die AI und eine:n talentierte:n Fotograf:in. Der Job ist ähnlich, nur die Werkzeuge sind andere.

Es empfiehlt sich, eine eigene „AI Identity“ zu definieren: Wie werden welche Tools eingesetzt, was sind Prompts, die zur Markentonalität und zum Look passen? Um sich zu differenzieren und konsistent zu bleiben, muss auch hier eine eigene Sprache definiert werden. Die AI kann diese Tonalität fortführen, aber wie bei neuen Mitarbeiter:innen muss man sie ihr erst zeigen.

Fazit: AI ist die größte Erfindung seit dem Internet

Es kommt nicht jedes Jahrzehnt vor, dass eine Technologie jetzt für jede Branche relevant ist. Und wie beim Internet wird es (kreativ) fantastisch, (wirtschaftlich) aufregend und (gesellschaftlich) gefährlich. Wie sehr, hängt von Aufklärung und Politik ab. Daher sollten wir alle viel mehr über AI sprechen. Und (noch) arbeiten AI-Tools nicht von allein. Es braucht Expert:innen und neue Ausbildungskonzepte in Unternehmen und Schulen. Agenturen brauchen neue Prozesse, um dieses Potential zu nutzen – und natürlich Kunden, die neugierig sind, was das für sie bedeutet.