[Hintergrund: Für „Kunst, Kommerz & Kinderkriegen“ habe ich viele Interviews mit Kreativen geführt, die einige Arbeitssysteme erlebt haben – und in ihrem aktuellen sehr glücklich wirken. Für das Buch waren sie zu lang, daher sammel‘ ich alle ungekürzt hier.]

Heute: Nerdindustries! Sie selbst nennen sich „Innovationsagentur“ und auf ihrem Positionierungschart sehen sie sich bei „innovative Produkte“, „Smart Services“ und nicht zuletzt „Rocket Science“. Auf jeden Fall deutlich weiter vorn als alle Digital- und Full Service Agenturen.
Gegründet wurde die Firma von Christoph Mäsching und Matthias Keswani. Vor der Firmengründung waren beide festes oder fest-freies Team in großen Agenturen, wo sie sich meist um die (noch junge) Digitalabteilung gekümmert haben.

nerdindustries

Warum macht ihr, was ihr grade macht?

Christoph Mäschig: Das waren tatsächlich viele Zufälle. Wir sind beide Quereinsteiger. Wir haben auch viel ausprobiert, was ich nur empfehlen kann. Um vorne anzufangen: Matthias hat Politologie und Germanistik studiert. Bei mir war das ein Kombi-Studiengang Informatik und Grafikdesign.

Seltene Kombination oder?

Sowas ist grade sogar relativ in. Damals war das einer der ersten Studiengänge, die das anboten und das war auch entsprechend chaotisch. Eigentlich war meine ganze Ausbildung etwas chaotisch:

Zuerst hab‘ ich Informatik studiert, das war mir zu trocken. Da hast du zum Beispiel Physikvorlesungen mit Overhead-Folien zum weiterspulen – da schreibt der Professor ganze Romane runter. Und der macht das schon das 20. oder 30. Jahr in Folge und du weißt: der hat kein Bock, die Studenten haben keinen Bock, man quält sich nur durchs Studium, um nachher einen Abschluss zu haben. Da war ich furchtbar genervt und hab eine Pause gemacht:

Drei Monate Praktikum in einer winzigen Werbeagentur in Düsseldorf. EBD Interpartners. Ich glaub, die gibt’s gar nicht mehr. Die hatten aber tolle Kunden. Ramazotti, noch einen polnischen Schnaps und Hallo Pizza – also du warst da immer gut verpflegt (lacht). Da war ich aber nur aus reiner Verzweiflung, weil ich Zeit zum Nachdenken brauchte, was ich eigentlich machen möchte.

Dann gab’s in Bielefeld einen Studiengang „Mediengestaltung“. Also wie der Ausbildungsberuf, nur als Studium. In der Zeit hatte ich viel gezeichnet, also hab’ ich da was hingeschickt und wurde dann auch genommen. Aber das war leider nichts Halbes und nichts Ganzes. Man hatte an der Uni die ganzen Naturwissenschaftlichen Sachen und an der FH die Grafikdesign-Kurse. Eigentlich super gedacht. Aber das Problem war: ich hatte nie Zeit. Das war vom ganzen Wesen darauf ausgelegt, dass man nur Uni macht. Und die FH war darauf ausgelegt, dass man nur FH macht. Also war ich in einer undankbaren Springer-Rolle und konnte nichts richtig machen. Da war man mal in einem tollen Typo-Kurs und wollte das anwenden – aber dann musste ich wieder rüber zur Uni. Und umgekehrt konnte man sich nicht auf Mathematik einlassen, weil man immer noch was gestalten musste. Das war ein bisschen wie in der Schule, wo man auch alles so halb macht.

Dann hab ich das für mich wieder getrennt. Also Informatik und Design weiterstudiert, aber mir die Kurse selbst sortiert. Eigentlich nur in einer anderen Reihenfolge als vorgegeben war. Und das hat dann sehr gut funktioniert.

Da hatte ich dann auch ein Zeugnis, wie vorher und nachher nie wieder. Ich war in der Schule nie besonders gut, aber da hatte ich durch die Bank Bestnoten. Dann bin ich mit meinem Bachelor ganz naiv zum Dekan und hab ihn gefragt, wie es aussähe mit promovieren. Und der meinte: eigentlich nicht, aber zeig‘ mal dein Zeugnis. Und dann: Ok, dann schon. Dann hatte ich einen offiziellen Zettel auf dem stand, dass ich meinen Master überspringen darf und sofort promovieren. Damit hab ich dann auch angefangen, hatte einen tollen Doktorvater und alles war super. 

Tja, und dann ist meine Beziehung gescheitert. Das war damals wirklich schlimm. Und dann macht einen auch Bielefeld etwas traurig, weil es ständig regnet, nichts los ist und abends die Bordsteine hochgeklappt werden. Wenn dann dein Privatleben zerbricht – das ist einfach Mist. Dann dachte ich mir: scheiß auf Promotion, ich muss sehen, dass mein Leben wieder in Schwung kommt. Ich muss hier weg.

Dann hab’ ich mit einem alten Kommilitonen von mir geredet. Philipp Wesche, der hat damals mit mir Grafikdesign studiert, der meinte: Mach’ doch Werbung. Irgendwas mit Medien. Passt doch. Und ich dachte mir, warum nicht und hab mir ein paar Agenturen rausgesucht: Optix Digital, SinnerSchrader, Jung von Matt und BBDO Interone.

Seltsame Mischung.

Ja, absolut. Rückblickend hat die Auswahl überhaupt keine Linie. Naja, zu denen hab’ ich dann meine Mappe geschickt. Die war während des Grafik-Studium praktischerweise eh immer mit gewachsen.

Wie sah dein Portfolio damals aus?

Eher visuell-technisch. Als Abschlussprojekt hatte ich zum Beispiel sowas wie in Minority Report: da hingen große Scheiben im Raum und ich hatte Handschuhe, die geleuchtet haben – also ich hab den Film nachgebaut. Das hat auch funktioniert!

Sehr cool, aber du hast das ganze Geraffel als Portfolio mitgeschleppt?!

Nein, mein Professor hatte das gefilmt. Leider mit einer sehr wackligen Hand (lacht). Das war dann sozusagen das Highlight meiner Mappe.

Was hast du zu den Agenturen geschickt?

Eine Mischung aus ausgedruckten und digitalen Sachen. Ein paar Hochglanz-Fotos von den Projekten. Weil man nie weiß, auf welchem Rechner das abläuft, hab’ ich eine DVD gemacht. Also eine ganz schicke, interaktive. Da konnte man durchnavigieren. Würde man heute wohl eher auf Webbasis machen. Naja, damals hab’ ich noch eine blau-rote Anaglyph-Brille und Erdnüsse beigelegt. Ich wollte eigentlich Popcorn schicken, aber das sah unter Vakuum nicht gut aus. Und ich hab alles vakuumiert, weil das ganz cool aussah und gleichzeitig billiger zu verschicken war.

Also ich hatte dieses Heimkino-Paket mit DVD, Nüssen und Brille und noch was Ausgedrucktes. Und das hab ich an die vier Firmen geschickt und hatte dann tatächlich auch Einladungen von jeder Firma. Das war echt krass, fand ich.

Das war aber diese Phase, als originelle Bewerbungen angesagt waren. Heute ja eher gar nicht.

Genau. Das war da eher so. Heute sind die Mappen sehr clean, was mir auch sehr gefällt. Und was ich toll finde ist, dass die Anschreiben sehr originell werden. Wir haben zum Beispiel grade eine Praktikantin eingestellt, die hatte ein richtig nettes, cooles Anschreiben. Nicht so anbiedernd. Ich muss gestehen, mein Anschreiben damals war echt spießig. Ich kannte die Werbung aber auch eben gar nicht.

Mein erstes Anschreiben auch. Ganz schlimm. Ich nenn’ das immer den Brief-Zombie-Effekt. Dieses typische Brief-Formulars lässt einen fast automatisch zu einem spießigen Zombie mutieren, der man ja eigentlich gar nicht ist. Dann leiert man nur Standardformulieren runter wie „der Beruf bereitet mir viel Freude“ oder sowas.

Ja, bei mir auch. Ziemlich zusammen gestammelt. Ich hab mich dabei sehr bemüht, aber so klang es dann auch. Sehr bieder. Naja, zuerst war ich bei Optix. Da kam die Einladung sofort nach einem Tag. Nach dem Gespräch wollten wir auch beide sofort loslegen.

Aber dann kam noch Jung von Matt. Dann hab’ ich erst mal mit Philipp Wesche telefoniert, weil ich gar nicht wusste, was Jung von Matt überhaupt ist. Da hab ich mich aber dann tatsächlich am wohlsten gefühlt. Da hatte ich damals das Gespräch mit Simone Ashoff, die war da damals Geschäftsführerin, was ich natürlich auch nicht wusste. Sie begann nur das Gespräch mit den Worten „Die CDs haben keine Zeit, darum mach ich das.“ Und ich dachte natürlich, ja toll, jetzt sitz ich hier mit der Juniorin oder so. (Lacht). Da saß ich auch halb verkleidet, weil ich von Werbung eben gar keine Ahnung hatte. Ich hatte mir extra einen Rollkragen-Pulli gekauft. Ich sah echt bescheuert aus.

Zum Thema „Sei du selbst“.

Oh man, ja. (Lacht). Und dann war ich kaum aus der Tür raus, da kam schon ein Anruf von der Perso mit den Worten „das muss ja super gewesen sein. Wir sollen dich fragen, ob du nächste Woche nochmal Zeit hast, dann lernst du auch noch die anderen Chefs kennen“. Hab ich dann gemacht und saß dann bei Oliver Bentz und Bernd Krämer.

War bestimmt ein angenehmes Gespräch mit den beiden, wenn die sich nicht geändert haben.

Ja, wirklich. Das war sehr gechillt und nett mit denen. Ich hatte mich damals nur etwas doof verstellt. Die hatten ein Aushängeschild, das war eine interaktive „Seite 1 Girl“-Installation für BILD und sonst hatten die nur Websites. Und ich dachte: Ok, dann muss ich bei Websites gefallen. Aber meine Mappe hatte ja nur Interaktions-Sachen und Installationen.

Also du warst eigentlich schon viel weiter vor als die.

Eigentlich ja. Ich hatte auch aus Glasfaser gewobene Stoffe, die geleuchtet haben. Und Möbelstücke damit. Eher abgedrehten Kram. Und ich hatte nur eine Website drin. Und dann hab ich gesagt: „Also das ist mein Lieblings-Case. Website ist total super.“ Und die beiden haben immer nachgefragt: „Was interessiert dich denn wirklich?“ Und ich immer auf Website. Und dann erst später, als ich schon angefangen hatte, hab’ ich nochmal mit denen geredet und gesagt: „Klar mach ich den anderen Kram lieber als Websites.“
Und die meinten dann auch „Der andere Kram war ja auch viel cooler, deswegen haben wir dich doch eingestellt! Das ist doch genau die Richtung in die wir wollen. Websites kann doch jeder.“ (Lacht)

Das ist ja wirklich der Klassiker-Bewerbungstipp: Nicht verstellen. 

Ja, das sollte man einfach nicht machen. Bringt nichts. Es hat ja in dem Fall nicht geschadet, aber das war auch Glück. Die Chefs haben ja auch ein Interesse dran, dass die Leute machen, an dem sie Spaß haben. Ist bei uns heute nicht anders.

Naja, ich war dann ungefähr anderthalb Jahre bei JvM/next. Es war nicht schlecht, aber ich war auch nicht direkt euphorisch. Also war alles etwas normal geworden. Dann rief mich Matthias an, mit dem ich ein Jahr vorher bei JvM/next war: „Du ich hab’ einen Vorstellungstermin bei Grabarz und Partner und ich hab’ denen gesagt, wir kommen zu zweit!“ Das kam überraschend, fand aber: kann man mal ausprobieren.

Wir waren dann bei Andreas (Grabarz) und Henner Kronenberg (damals noch Personalchef) und wir hatten einen sehr lockeren Termin. Wir haben uns einfach alle einen angenehmen Termin draus gemacht. Übrigens generell ein guter Plan. Ich weiß noch, was Andreas Grabarz damals meinte: „Jungs, ich hab kein Wort von dem verstanden, was ihr da genau macht, aber ich will euch gerne haben!“ (lacht)

Einen Tag später rief dann Henner an und hat mit uns verhandelt und zwei Tage später hatten wir den Vertrag.

Dann haben wir da die Digitalabteilung aufgebaut. Dann haben wir Leute geholt und dann ging das los. Das war auch gut und wuchs ständig weiter. Für uns war es dann nur etwas unbefriedigend, weil wir eigentlich immer „heißen Scheiß“ machen wollten. Also eher technikgetriebene Ideen. Und das ist bei allen Agenturen, die aus der Klassik kommen, dasselbe: das ist partiell möglich, aber eher als Goldidee. Das Tagesgeschäft hat’s einfach nicht hergegeben, mal etwas technisches zu entwickeln.

Kunden, die „heißen Technik-Scheiß“ wollen, gehen mit dem Wunsch ja eher selten zu einer Werbeagentur. Die suchen sich eher einen Entwickler.

Das Schlimmste war: Wir haben damals bei ein ganz schlaues Banner-System entwickelt. Das hat wirklich funktioniert. Aber die Kunden haben uns das in der Präsentation nicht abgenommen, dass wir die Kompetenz haben, dass das Ding läuft. Weil die dachten: Werbeagentur – die kommen mit irgendeiner Werber-Idee an und die suchen sich dann Entwickler dafür und stellen vor allem die Rechnung. Was ja leider auch fast immer so ist.

Schnitt, ein Jahr später kam fast dasselbe Tool, also genau dieselbe Idee und Mechanik. Nur eben aus den USA. Heute kannst du Banner gar nicht mehr anders buchen! Das hat sich komplett durchgesetzt. Und hier in Deutschland haben die ganzen Zweifler plötzlich von nichts gewusst.

Aus dem Grund wurden wir da jedenfalls nicht glücklich. Menschlich war alles in bester Ordnung, aber wir kamen einfach nicht voran, indem was wir eigentlich machen wollten.
Und dann haben wir uns gesagt: So, dann müssen wir uns eben selbstständig machen.

Ganz allgemein gefragt – meinst du, es wäre anders gewesen, wenn ihr z.B. Geschäftsführer gewesen wärt? War das keine Option so eine Position anzustreben, statt Gründung?

Nein, weil Geschäftsführer reporten immer an den Eigentümer. Die geben die Richtung vor. Ich glaube, dass hätte nicht viel gebracht. Eher schon als Vorstand. Also man muss auf derselben Ebene eine Person sein, die das voran treibt.

Also ich glaube nicht daran, dass man was verändert, wenn man das einer Ebene drunter überlässt, aber immer noch die Finger mit drin hat. Ich selber könnte nicht entscheiden, ob ein TV-Spot gut ist oder schlecht. Vielleicht ganz grob, aber in den Graubereichen ist die Kompetenz einfach nicht da. Gerade die alten Eisen die überall sitzen, unterliegen ja oft dem Trugschluss diese Kompetenz zu haben. Die machen das dann plötzlich mit und freuen sich, wenn’s dann ganz Ok wird. Ich glaube auch nicht an die allumfassende Agentur.

Meiner Erfahrung nach gibt’s die auch nicht. Insgeheim findet in jeder Klassikagentur ein Großteil der Leute Digital überschätzt bis unnötig. Und in jeder Digitalagentur belächeln sie heimlich alles auf Papier. 

Das basiert ja auch auf dem Wunschdenken, dass man einen Ansprechpartner hat, der alles gleichermaßen gut kann. Ich bin seit jeher der Meinung, dass es Spezialisten geben muss. Und in einer Agentur hast du vor allem Generalisten. Guck dir doch alleine einen Werbespot an. Das Vorzeigemedium jeder Klassik. Da holt man sich doch auch eine Produktion und einen Regisseur. Einen Spezialisten für die Bildsprache und Tonalität. Ich hol‘ mir doch auch einen guten Tischler, wenn ich eine coole Wand brauche. Und dem quatsch‘ ich dann natürlich nicht rein. Wer bin ich, Leuten die Kompetenz abzusprechen? Davon hab ich ja selber nichts.

Das ist genau der Trick – dass man Spezialisten auch machen lässt. Die Kontrollfans in Deutschland lassen leider selten los. Da ist der Regisseur oder Fotograf oft der Handlanger für den Agenturchef oder CD. Till Diestel bei Adam&EveDDB in London meinte mal, dass ist exakt der Unterschied warum englische und amerikanische Produktionen soviel besser/unterhaltsamer sind als Deutsche: Die suchen mit großer Sorgfalt den besten Regisseur und das beste Team für die Produktion – und vertrauen dem dann fast blind. Die warten praktisch bis der mit dem Film fertig ist. Da bekäme in Deutschland jeder Chef, CD und Kunde einen Herzinfarkt.

Genauso. Du musst die machen lassen und vertrauen. Und man bekommt ein besseres Ergebnis, als wenn man meint, alles anbieten zu müssen.

Ich muss ja immer lachen, wenn ich was von Digitalisierung oder digitaler Transformation in irgendwelchen großen Agenturen lese. Die setzen da fünf Typen rein und dann machen die da höchstens Website und wenn’s hoch kommt mal ne App.
Und das ist dann Digitalisierung? Ich finde diesen Full Service Anspruch auch dramatisch, ehrlich gesagt. Ich meine, die können ihren Fachbereich ja sehr gut. Filme, Funkspots, Anzeigen, Headlines – können wir alles nicht in der Qualität. Ich find das gar nicht schlimm, wenn man sagt, das ist unser Steckenpferd, da kennen wir uns aus und wenn ihr Banner braucht, dann machen wir die eben mit. Aber jetzt hat auch der letzte gemerkt, dass da viel Geld drin steckt und sagen: Mensch, das müssen wir ja auch alles offiziell können. Und dann sagen sie alle wir sind transformiert und digitalisiert und orchestriert und was noch alles.

Seid ihr deswegen ausgestiegen?

Nein, wir wollten einfach unser Ding machen. Wir wollten unsere eigene Spielwiese und testen, ob das funktioniert, was wir uns ausgedacht haben.

Zwischendurch hatten wir auch ein Start up, was wir aber schnell wieder aufgegeben haben. Denn wir haben gemerkt, wenn man externes Geld nimmt, verbiegst du dich eigentlich doch wieder. Du musst dann 7-8 Jahre eine Idee machen. Mindestens. Und du hängst voll mit drin und musst am Ende eben auch deinen Businessplan erfüllen. Das war uns dann sehr schnell alles zu doof und haben mit dem angefangen, was wir jetzt machen.

Wir sind ein Dienstleister für technische Produkte und machen Innovationen. Also eine Innovationsagentur. Zuerst hatten wir fast ausschließlich mit Agenturen zu tun, die bei uns eingekauft haben. Und das Geschäft hat sich sehr gewandelt, sodass wir jetzt ganz normale Kunden haben. Teilweise sind das eigene Produkte von den Kunden, die man vorantreibt, manchmal sind das auch Kommunikationsmaßnahmen.

Und das ist auch genau unser Ding. Das sind alles Sachen, zu denen wir selber sagen: ja, wie geil! Ich kann selber nicht sagen, ob das in 5-6 Jahren immer so läuft, aber jetzt gerade ist es sehr cool. Am Ende des Tages gestaltet man immer eine Art von Produkt mit dem Kunden zusammen. Und wir bringen da das Technik Know-how rein.

Wo ist genau der Unterschied zu einer „normalen“ Agentur?

Angenommen ein Kunde will einen TV-Spot. Und der geht zu einer der Agentur in der Top 30 in irgendeinem Agenturanking – am Ende wird der Kunde mehr oder weniger denselben Spot bekommen. Klar, einer haut mehr die Kacke, einer versucht’s mit Witz und der nächste mit Design. Aber ein richtiges Alleinstellungsmerkmal haben die alle nicht. Das merkt man auch an den Leuten, die ständig zwischen diesen Agenturen wechseln. Das sind ja immer dieselben. Im Grunde können Kunden auch zwischen diesen Agenturen springen. Tun sie ja auch.

Deswegen finde ich so einen Weg wie von Mercedes auch nicht dumm. Die wissen, die Leute hängen bei uns am Tropf und sind ausschließlich für uns da. Oder andere Kunden recherchieren die Texter, die einen tollen Film bei Agentur XY geschrieben haben. Die buchen die dann eben einzeln – für einen Bruchteil des Geldes. Und der Bruchteil ist für den Texter immer noch zwanzigmal mehr, als er für dieselbe Arbeit in der Agentur bekommen hat.

Wir sind, zumindest jetzt, noch weniger austauschbar. Gerade in Deutschland gibt’s kaum Firmen mit einem ähnlichen Angebot. Wenn man über den Teich guckt, gibt’s natürlich Konkurrenz. Aber in Deutschland hast du höchstens einzelne Tüftler oder Maker-Teams, aber keinen Laden mit der Positionierung und Spezialisierung. Darum glaube ich, dass wir da ein Alleinstellungsmerkmal haben. Wie gesagt: noch. In den USA werden da gerade Milliarden verbraten und dann weiß man: in 10 Jahren ist es in Deutschland auch soweit. Und dann sind wir ganz gut vorbereitet.

Hattet ihr diese Positionierung eigentlich schon bei der Gründung?

Nein. Aber ungefähr. Wir wollten immer technisch getriebene Produkte machen.

Das ist ja schon sehr konkret.

Jagut, wir waren zu zweit und ich bin Techniker. Also so viele Optionen hatten wir auch gar nicht (lacht).
Nur eine Sache war kniffelig, für die haben wir echt lange gebraucht: und zwar zu sagen, wir sind eine Agentur und kein Startup. Das wir uns einig waren: wir wollen nicht ein Produkt über viele Jahre entwickeln, sondern mehrere kleinere Produkte zusammen mit Kunden in einem Zeithorizont von einem Jahr oder einem Monat. Also wir sind ein Dienstleister.
Das so konkret zu formulieren, hat gedauert.

War das schwierig am Anfang?

Ja! Anfangs war es die Hölle, Projekte zu akquirieren. Wenn du ganz neu bist und dann auch noch eine Nischen-Positionierung hast, dann ist das enorm hart. Aber nach und nach kam das und dann kam es immer mehr. Anfangs waren das vor allem Agenturen mit Goldideen. Das ging auch nur, weil wir zu zweit, bzw. zu dritt waren. Denn mit Goldideen verdient man ja nichts. Und Goldideen für Agentur sind besonders schwierig, weil die ja oft so tun, als hätten die alles alleine geschafft. Trotzdem verdienst du mit einem Unternehmen immer mehr, als in einer Agentur.

Das ist ja auch als Freelancer so.

Ja, es sind halt einfach weniger Hände zwischen dem Geld und dir. Je weniger Mittler und je freier die Verhandlung, desto mehr Geld.
Aber das schon schon seine Zeit gedauert. Wir haben zwar nie Schulden gemacht, aber die richtige Sicherheit ist erst über die Jahre gekommen. Und jetzt wird es eigentlich immer besser, weil in diesem Markt so unglaublich viel passiert. Plötzlich fangen alle mit VR Brillen an, zum Beispiel.

Wie habt ihr das eigentlich bekannt gemacht?

Also mit Projekten in der Presse landen ist immer gut. Dann melden sich Kunden auch manchmal von allein. Website oder sowas. Aber der mit Abstand größte Teil kommt über Mund zu Mund. Das ist das Größte. Ganz selten machen wir auch Kaltakquise wenn wir denken, der Kunde wäre super. Wenn man das nicht Schrotgewehrartig macht, klappt das auch. Social Media machen wir ganz wenig, weil wir damit einfach zu wenig neue Leute erreichen. Ein Artikel in der Wired oder in der PAGE erreicht 100.000 Leute, ein Facebook-Post von uns 1.000 Leute – die uns auch noch alle kennen. Wir wollen ja Leute, die uns noch nicht kennen.

Zum Thema Nachwuchs – was würdest du dem raten?

Ich würde erst mal in eine gute Digitalagentur gehen. Um das Handwerk zu lernen und auch um zu merken, wie das Business läuft. Dann hat man auch einen Namen in der Mappe, das finden später auch Investoren gut, falls man so was möchte.

Dann ist es wichtig, dass man immer etwas hat, für das man brennt. Also irgendein Projekt, dass einem besonders wichtig ist. Bei mir ist das zum Beispiel mein Kind. Bei dir ist das vermutlich dein Kind und dein Buch, denk ich mir mal. Für einen jungen Designer ist das vielleicht das Plattencover für eine coole Band. Diese gute Mischung aus Brot und Butter Projekten, damit man finanziell unabhängig ist und Herzens-Projekten – die muss man hinkriegen.

Wenn man Studenten fragt, wollen die meistens T-Shirts machen. Denken aber wenig ans Geld verdienen. 

Ach, das war auch zu meiner Zeit nicht anders. Jeder zweite Designer wollte einen T-Shirt-Shop aufmachen. Ja, das ist sehr naiv.

Was wäre für euch eine perfekte Bewerbung?

(Denkt lange nach) Auf keinen Fall anbiedernd sein. Also keine Pakete mit Süßigkeiten schicken. Ich mag sympathische Anschreiben. Zum Beispiel per Mail. Plus Foto und kurzem Lebenslauf kann ich mir dann schon die Person gut vorstellen, wie die wirklich ist.

Das ist mir viel lieber, als wenn jemand irgendwas Originelles schickt. Wenn einer schreibt, der hat schon dies und das gemacht, dann finde ich schon raus, ob der löten kann. Da muss der mir keinen Tannenbaum aus Lötwerk schicken.
Wir brauchen eigentlich noch nicht mal eine Website. Damit ist man dann bei Online-Agenturen besser aufgehoben, damit die sehen, ah, – Websites kann der auch. Wir brauchen ja viel freakigere Skills. Gerade bei Technik ist das ja auch ganz einfach zu bewerten. Das funktioniert oder funktioniert nicht. Wenn einer was Cooles gebaut hat und das funktioniert, dann sieht man das. Da reichen mir wirklich die reinen Fakten.

Hätte ich gar nicht gedacht, dass man ausgerechnet bei euch mit einer fast spießigen Fakten-Bewerbung mit Anschreiben und Lebenslauf so punkten kann.

Es muss ja nicht staubtrocken sein. Aber so chi-chi brauchen wir nicht. Ich lese lieber die Fakten und lern’ dann die Person kennen. Der Mensch ist bei uns extrem wichtig.

Ja gut, bei jedem!

Hab’ ich auch anders erlebt. In einer großen Agentur, die gerade einen großen Kunden gewonnen hat – ich sag’ mal Auto – wird erst mal ein großer Schwung Leute geholt. Die brauchen so viele, da können die gar nicht genau auswählen. Davon ist nach der Probezeit dann die Hälfte wieder weg, von sich aus oder von der Firma aus, weil das von Anfang an nicht gepasst hat.
Wir wachsen extrem langsam. Da ist jede Person handverlesen – und das passt dann halt auch. Was wir hier machen, lernst du ja vorher kaum. Deswegen ist das Potential so wichtig. Jeder der hier kommt, muss erst mal Sachen machen und ausprobieren.

Wie geht ihr mit Weiterbildung um?

Wir werden ja mit jedem neuen Projekt ins kalte Wasser geschmissen. Das ist ja nicht wie die zehnte Anzeige machen. Das ist immer etwas komplett Neues. Da lernt man schon mal eine Menge beim Machen. Jeder von uns.
Es gibt aber auch coole Messen und Events. Allein für die Eindrücke ist das sehr wichtig. Wobei die meisten Speaker ja leider nur ihre Firma promoten oder ihr Projekt präsentieren. Das finde ich immer sehr langweilig, denn dann kann ich mir auch die Website von denen angucken. Die besten Events sind leider in den USA. Und das ist aufgrund unserer Größe und Spezialisierung leider schwierig. Denn wir können ja keinen Spezialisten mal eben 5 Tage im laufenden Projekt nach Übersee schicken. Zu einer SXSW oder so. Aber da tüfteln wir noch.
Grundsätzlich ist die beste Weiterbildung einfach machen. Da muss man sich nichts vormachen: Ohne unsere Erfahrung aus der Festanstellung wären wir heute nicht da wo wir sind.

Absolut. Die ersten fünf Jahre war ich komplett unsicher.

Wer nicht? Das macht alles schon Sinn. Gut, man hätte sich vielleicht einiges ersparen können – aber man weiß nie, wozu es gut ist.

Du hast gesagt, es war viel Zufall. Diese Gelegenheiten muss man ja eigentlich nur annehmen.

Ja! Das Bescheuertste was man machen kann, ist sein Leben nach dem Lebenslauf zu richten und nicht umgekehrt. Es gibt wirklich Menschen, die sagen, nein das mache ich lieber nicht, weil das komisch aussieht.

Das muss man sich mal klar machen: Man lebt wirklich nur einmal, du kannst Morgen sterben und mit 80 bist du eh tot. So. Wenn man da nichts versucht, dann ist man doch schön blöd. Dann sitzt man lieber drei Jahre irgendwo, wo man schon selbst weiß, dass es nichts bringt. Und dann am besten noch so einen Idealplan aufsetzen. Mit 30 muss ich geheiratet haben, dann kommt das Kind und dies und das. Wenn man sich so was zurecht legt und dann noch enttäuscht ist, wenn’s nicht klappt, also der gehört echt schon jetzt eingesargt. Dieser manische Lebenslauf-Druck, Wahnsinn.

Lieben Dank für deine Zeit!