Über 100.000 Fans bei „Schöne Texte“  auf Facebook —  ein schöner Moment mal zu schauen, wie es dazu kam und was man dabei lernen konnte:

Schöne Texte ist eigentlich fast 10 Jahre alt. Sie lagen halt nur 6 Jahre davon in einer Klarsichtfolie im Schreibtischschrank. Mein CD damals, Philipp Barth, meinte ich sollte schöne Texte sammeln und vorm Schreiben einmal lesen. Dann legt man die Messlatte im Kopf höher. Das kann ich auch jetzt noch jedem Text-Anfänger empfehlen. Irgendwann war die Messlatte jedenfalls im Kopf und die Sammlung wurde nervig. — War aber zu schade zum Wegwerfen. Also hab ich die Texte auf einer Facebook-Seite gesammelt.

Die ersten Monate war ich auf dieser Seite also quasi alleine. Jeden Tag ein schöner Text. Und anfangs vor allem Werbetexte. Langsam kamen 50 Fans hinzu. Wochen später waren es 100.
Man kann nervösen Marketingleitern, die „Social Media“ bestellen und ratzfatz eine Million wollen (Fans, Clicks, Views, Leads, egal, wichtig ist bekanntlich eine Million), immer nur raten: dann macht was Anderes. Hier müsst ihr erstmal Geduld mitbringen. Ein Jahr. Besser fünf.

Irgendwann achtet man immer genauer darauf, was gut funktioniert und was nicht. Spannend ist dabei welche Texte nicht nur geliked, sondern auch geteilt werden und welche scheinbar so schlimm sind, dass gleich die ganze Seite entfreundet wird.

Hier ein paar Erfahrungen:

Mit Vegetariern ist nicht zu spaßen.

Wenn ich einen (meiner Meinung nach) guten „Fleischesser“-Witz poste, ist garantiert die Hölle los. Da wird nicht nur wild kommentiert, da wird gleich die ganze Seite gemeldet. Einer schrieb mir, dass wäre Volksverhetzung, was ich da täte (im wahrsten Sinne: kein Witz!). Erstaunlicherweise kann man dagegen quasi bedenkenlos Christen beleidigen. Da passiert fast nichts. Vielleicht habe ich aber auch einfach nur sehr wenige streng gläubige Christen unter den Fans.

Wer keinen Humor hat, sagt garantiert „Ich habe Humor“, bzw. „Ich verstehe Spaß“.

Sowas wird selten kommentiert, sondern meist per PM an die Seite geschrieben. Ein Beispiel:

Charmant auch die Keule mit dem Länderfinanzausgleich. Da wird den Witzbolden aus Berlin gleich mal die Kohle gekürzt. Soll’n se mal sehen, wer zuletzt lacht!

Je wichtiger man sich nimmt, desto lächerlicher macht man sich.

Was ich aus unzähligen bösen Kommentaren gelernt hab‘: wer seinem Groll freien Lauf lässt, steht nachher als Idiot da. Und zwar immer. Und sogar unabhängig davon, ob derjenige vielleicht sogar Recht hat. Kein Schreihals hat jemals irgendwen zum Umdenken gebracht.

Wenn man also eine gewisse „Wut-Temperatur“ in seinen Texten spürt, schreibt man besser nichts. Denn der Text wäre sowieso nutzlos. Besser man wartet, bis man das neutral oder sogar unterhaltsam formulieren kann.

Ein sehr lesenswerter Beitrag zum Thema Humor ist übrigens „Wege in die Spaßgesellschaft“ aus der Brandeins. Ein kleiner Auszug: >>“Humorlosigkeit ist ein Anfängerproblem, von Einzelnen wie von Gruppen. Es sind bevorzugt Leute, die an ihre Sache sehr glauben. Die vertragen keine Kritik, lassen keine Zweifel zu und haben meist keine Distanz zu dem, was sie tun. Je mehr Ideologie, desto weniger Ironie. Und das bedeutet unterm Strich: sehr wenig Intelligenz.“<< Schreibt Willibald Ruch, Humorforscher der Universität Zürich.

Je aktueller, desto mehr Likes.

Das ist wirklich so. Hier ein paar ältere Beispiele mit jeweils mehr als 2.000 Likes, die “im aktuellen Umfeld” gepostet wurden:

Es wird nur albern, sobald man das ständig machen möchte. Dann geht die Qualität auch ebenso schnell den Bach runter. JohnSt. hat das mal „erklärt“:

Auch lange Texte werden geliked.

Schlechte Nachricht für die Social-Media-Redaktionen mit der knüllerkurzen Buzzfeed-Clickbait-Ausbildung: Ein paar der erfolgreichsten Texte sind praktisch „ein Bildschirm voll Text“. Damit dieser Post nicht komplett gesprengt wird, hier ein paar Beispiele als Link: Sonneborns Antwort auf Charlie Hebdo. Ein Kommentar zu einen FPÖ-Fan. Und Schaklin.

Der häufigste Kommentar: „Also das ist aber kein schöner Text“.

Ich wollt‘, ich hätte für jeden Satz einen Euro bekommen. Das ist leider die „Visual Statements“-Zielgruppe, die sich immer wieder auf Schöne Texte verirrt. Manchmal schaue ich etwas neidisch auf die Millionen Fans dieser Feel-Good-Text-Sammlung (aktueller Post: „I just want somebody who will never stop choosing me“ = 2.000 Likes). Man kann sowas auch als Beziehungs-Indikator verwenden. Wenn man so eine Scheiße teilt und am besten noch seinen Partner markiert, sind die Tage der Beziehung garantiert gezählt.

Menschen liken, was sie interessiert. Und meistens ist es keine Werbeanzeige.

Offensichtliche Werbung wird immer abgestraft. Und zwar ziemlich radikal. Ich hatte einmal eine Anzeige mit einer großartigen Headline, bei der ich mir sicher war, dass die mind. 500 Likes bringt. Die vertrocknete bei ca. 50. Ich hab den gleichen Text eine Woche später nochmal gepostet, aber nur plump in Keynote abgesetzt und per Screenshot hochgeladen. Ohne Logo. Über 500 Likes.
Anders funktionieren übrigens die Posts von Marken selbst. Also für die Fans der Marke. Wenn Menschen die Werbung abonniert haben, ist sie auch Ok. Aber nur dann. Sonst muss man sich etwas Charmanteres ausdenken.

Schöne Texte müssen keinen Sinn haben.

Das hört man in der Ausbildung zum Texter sehr oft: ein guter Text braucht eine klare Idee. Der Text muss bestimmte Inhalte klar und kurz rüber bringen. Das stimmt, ist aber sehr Deutsch. Ralf Heuel hat das ziemlich gut auf den Punkt gebracht: „Wir Deutschen sind clever, schlau, intelligent, wir machen immer Sinn. Aber wir machen niemals Unsinn.” Und erfolgreiches Entertainment ist nunmal fast immer Unsinn. Kleiner Beweis gefällt? Hier ist der Post mit den meisten Likes auf Schöne Texte, all-time:

Viel Spaß 🙂